Frank Krings: Don’t save the vinyl! – Warum digitale Musik besser ist.

Frank Krings: Don't save the vinyl! - Warum digitale Musik besser ist.

Frank Krings arbeitet in der Kommunikationsabteilung der Frankfurter Buchmesse, Schwerpunkt Online-Redaktion / Social Media. Seine Artikel hier geben seine privaten Ansichten und nicht die der Frankfurter Buchmesse wieder.

Ängstlich schauen einige Vertreter der Buchbranche auf die Musikindustrie: Werden die dortigen digitalen Einschläge uns auch mal so treffen? Stirbt das gedruckte Buch den gleichen Tod wie die Schallplatte und (bald) auch die CD? Ob solche Vergleiche pauschal sinnvoll sind, darüber lässt sich streiten. Aber mir fällt auf, dass die buchbranchigen Argumente in der Papierbuch vs Ebook-Diskussion große Ähnlichkeit mit dem bis heute andauernden Streit über Schallplatten auf Vinyl vs CDs & mp3s haben.

Bis heute andauernd? Ist der Streit nicht längst zugunsten digitaler Musikformate entschieden? Jein. Unter DJs tobt dieser Streit immer noch, wie vor kurzem der Shitstorm auf Facebook gegen den verdienten Techno-DJ Richie Hawtin zeigte. Der hatte das Foto eines DJs mit Plattenkoffern mit den Worten kommentiert: “Is this ‘DJ’ pulling records behind him? Is this Berlin 2011 or NYC/Detroit/Chicago 1988? How far wa’ve come and how little we’ve progressed!” Innerhalb von Minuten erntete der Schallplatten-Beleidiger 350 wütende Kommentare die (sic!) im Hitler-Vergleich (DJ Hawtin will die Schallplattenverbrennung!) mündeten.

Um die Emotionen der Save-the-Vinyl-Fraktion verständlicher zu machen, muss ich mal kurz in die DJ-Historie gehen: Ohne die flexible Haptik des Vinyls gäbe es keine virtuos scratchenden und mixenden Hip Hop-DJs. Es gäbe keine Soundsystem-Battles, wo Reggae-DJs im Sekundentakt ihre schnell gepressten Dubplates wechseln. Und es gäbe keine Rare-Groove & Northern-Soul-Parties auf denen manische Raritätensammler ihre alten Schätze präsentieren. Von der hohen Kunst des Turntablism ganz zu schweigen. Kurzum: Am Trägermedium Vinyl hängt eine ganze Subkultur, die Deejaying, Partys und Musikstile definierte.

Zur Ikonografie des virtuosen DJs gehören auch heute noch zwei Vinyl-Teller wie die pralle Bücherwand zum Literaten. Dementsprechend werden DJs mit “leichtem Gepäck” wie CDs und (noch schlimmer: Laptops!) statt mit mit schweren Plattenkoffern misstrauisch beäugt. Früher nicht zu Unrecht, denn mit CDs und mp3-Dateien konnte man nichts Kreatives anstellen, es fehlte der Zugriff der zwei Hände auf die Musik.

Die Musikindustrie erkannte das Defizit und wurde erfinderisch: Erst gab es CD-Player mit kleinen gummierten Tellerchen zum Scratchen, Loopen und Tempo-Anpassen der Musik. Das sah leider nicht so toll aus. Dann erfanden Systeme wie Serato die digitale Schallplatte: Hier kann der DJ mit zwei Vinyl-gleichen Tonträgern die eigenen mp3s auf dem Laptop bearbeiten wie zwei Schallplatten. Als der bis dato digital unverdächtige Hip Hop-Pionier Jazzy Jeff – ehemaliger DJ-Weltmeister und Erfinder des Transformer-Scratchings – auf Serato umstieg, hatte die digitale Schallplatte ihren Segen. Oder anders gesagt: Auch für virtuose DJs, die gerne mixen und scratchen, ist Vinyl seit Serato nicht mehr relevant.

Zumal die Vorteile digitaler Musikformate überwiegen: Der DJ hat einfach mehr Musik auf der Festplatte als im Plattenkoffer und kann flexibler auf das Publikum reagieren. Vinyl-Anhänger glorifizieren dagegen ihre begrenzte Musik-Selektion (“Klares Programm!”, “Wir sind keine Jukebox!”) Das ist so, als wenn ein Handwerker stolz darauf wäre, nur drei Werkzeuge zu haben, mit denen er schlecht und recht jede Arbeit bewältigt – oder eben auch nicht. Digitale DJs dagegen haben auch mehr Raum für die Kür (Soundeffekte, Samples u.ä.), weil einige Pflichten (z.B. Tempo-Anpassung der zu mixenden Tracks) fast automatisiert ablaufen. Ein weiterer Vorteil von mp3s gegenüber Vinyl: Sie sind teilbar im Social Web – während das Vinyl dort so wenig “viral” werden kann wie ein Printbuch. (Siehe Jeff Jarvis’ Reaktion auf den “Printbooks don´t go viral”-Vorwurf.)

Was spricht dann heute noch für das Vinyl? Ästhetik, Distinktion und Besitzerstolz. Während mp3s unsichtbar sind und kaum jemand seiner CD-Sammlung einen großen Platz im Wohnzimmer einräumt, sind Platten-Sammlungen mit schönen Covern ein echter Hingucker. So wie halt auch ein mit Tintenfeder und Wachs-Siegel handgefertigter Brief jeder Email ästhetisch überlegen ist und ihren Besitzer adelt. Ich kenne Wohnungen in denen ausgewählte Plattencover auf Regalen ausgestellt sind. Leider hat keiner ihrer Besitzer noch einen Plattenspieler um das Vinyl auch hören zu können. Soviel zur Relevanz von Trägermedien, die nur noch “ästhetisch” relevant sind.

Und zum Thema “Besitz” sagte der Vinyl-Traditionalist Eddie Piller in der Arte-Doku “Vinyl-Mania”: “Du besitzt einfach nichts, wenn du einen Download kaufst.” Ok, und wer jetzt neuerdings seine Lieblingsmusik via Streaming hört … der besitzt noch nicht einmal den Download-File! Aber geht es heute wirklich noch darum, Musik zu besitzen? Oder zählt nicht vielmehr der einfache, preiswerte und überall verfügbare Zugang zur Musik? Und zwar auf dem Medium, das ich gerade zur Hand habe?

Was das mit der Printbuch vs E-Book-Diskussion zu tun hat, muss jeder selbst entscheiden. Ich glaube jedenfalls nicht, dass Ästhetik, Distinktion und Besitzerstolz das Papierbuch retten werden.

Bildquelle: Bestimmte Rechte (CC BY-NC-ND 2.0) vorbehalten von Tony Madrid
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