Interview: Heike Scholz über die Bedeutung von “Mobile” für den Buchmarkt

Interview: Heike Scholz über die Bedeutung von "Mobile" für den Buchmarkt

Heike Scholz gehört zu den führenden Köpfen in der deutschsprachigen Web-Szene, was das weite Themenfeld “Mobile” betrifft. Mich interessiert besonders, wie mobile Geräte und das mobile Internet die Buchbranche beeinflussen und verändern werden. Daher habe ich ihr genau dazu ein paar Fragen gestellt:

Wer bist Du, was machst Du und wo finden wir Dich im Internet?

Ich bin Mobilista also eine mit dem mobilen Virus Infizierte und helfe Unternehmen unter anderem aus der Medienbranche, gute und funktionierende Konzepte für ihre mobilen Aktivitäten zu entwickeln und umzusetzen. Von der strategischen Planung bis hin zur mobilen Applikation und ihrer Vermarktung decke ich hierbei alle relevanten Themen ab. Und ich blogge seit über drei Jahren über mobile Themen auf mobile zeitgeist und bin stolz, gemeinsam mit meinen Co-Autoren, ein über unsere eigene Branche hinaus anerkanntes und stetig größer werdendes Online-Format aufgebaut zu haben. Hierbei habe ich in den vergangenen Jahren so viel über Social Media gelernt, dass ich mittlerweile auch rund um Social Media Unternehmen unterstütze. Im Internet findet man mich natürlich hauptsächlich auf mobile zeitgeist und Twitter, aber auch auf den einschlägigen Plattformen wie Xing, LinkedIn, Facebook und noch einigen mehr.

Warum ist das Thema Mobile wichtig für den Buchmarkt?

Einerseits sehen wir einen anhaltenden Wandel in der Mediennutzung, weg von den traditionellen hin zu den neuen Medien. Da ist es einfach selbstverständlich, dass Unternehmen ihren Kunden folgen und ebenfalls dort präsent sind, wo ihre Kunden sind. Gerade für Verlage bietet es sich einfach an, das eigene Angebot auch auf mobile Endgeräte zu bringen, denn unser Handy haben wir einfach immer dabei, das Buch bleibt schon einmal zu Hause liegen. Schnell das nächste Kapitel eines spannenden Romans auf dem Weg zur Arbeit lesen, ohne das vielleicht dicke und sperrige Buch mit sich herum zu schleppen. Das zeigt schon, dass das Handy sicherlich nicht abends auf dem Sofa, bei Kerzenschein und einem guten Rotwein das bevorzugte Medium sein wird. Hier wird das schöne papierene Buch sicherlich den Vorzug erhalten, vielleicht noch ein eReader zum Einsatz kommen. Doch wir müssen nur nach Japan schauen, wo kaum noch von Papier gelesen wird und auf dem Mobiltelefon ganz neue Formate wie Novels entstanden sind – mit denen übrigens eine Menge Geld verdient wird – um zu verstehen, was in diesem Bereich noch auf uns zukommen wird.

Ein weiterer Grund für Verlage, möglichst schnell sowohl im e- als auch mBook Bereich aktiv zu werden, liegt in der rasanten Zunahme von Raubkopien elektronischer Bücher im Internet. Hier sollten die Verlage nicht den gleichen Fehler begehen, den die Musikbranche gemacht hat und darauf warten, dass die Behörden die Raubkopierer erwischen würden. Das digitale Vervielfältigen ist nicht aufzuhalten und man sollte Zeit und Geld lieber in gute Internet- und Mobile-Shops investieren. Denn Apple hat mit seinem iTunes-Store eines sehr deutlich gezeigt: Wenn der Inhalt bequem, einfach und zu einem angemessenen Preis gekauft werden kann, sind die Nutzer durchaus bereit, dafür zu zahlen. Dem neuen Bestseller von Dan Brown “The Lost Symbol” haben die Raubkopien den Marktstart jedenfalls nicht verhagelt. Mit einer Million verkauften Büchern am ersten Tag war er durchaus erfolgreich. Und man sollte auch nicht glauben, dass jeder der eine Raubkopie besitzt auch gleichzeitig ein verlorener, zahlender Kunde ist. Viele würden das Buch gar nicht lesen, wenn es nur als “teure” Papierausgabe zu bekommen wäre. Einem Schriftsteller muss es doch allemal lieber sein, von mehr Menschen gelesen zu werden als von weniger. Dies bedeutet nicht, dass ich das illegale Kopieren gut heiße oder dafür plädiere, es nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen. Nur sollte dies auf keinen Fall das einzige sein, was getan wird. Um so länger die digitalen Angebote der Verlage so unkomfortabel und teuer bleiben, um so mehr Zulauf werden die illegalen Tauschbörsen haben. Hier wird in meinen Augen derzeit viel Geld verschenkt.

Welche sind die interessantesten Mobile-Trends für den Buchmarkt?

Zurzeit sehen wir eine enorme Medienaufmerksamkeit für die eBook-Reader, allen voran der Kindle von amazon, aber auch Sony, Philips, das französische Unternehmen Bookeen, Hugendubel mit seinem iriver und die Berliner Wizpac Ltd. (textr) machten in den vergangenen Wochen von sich reden. Neu hinzu kam nun der Nook von Barnes & Noble, das aus meiner Sicht am weitesten durchdachte Konzept. Der Erfolg der eBook-Reader steht und fällt mit der Einfachheit und Bequemlichkeit der Bedienung und dem mit dem Gerät nutzbaren Content. Hier hat sicherlich amazon eine sehr gute Ausgangsposition. Anbieter wie textr müssen noch zeigen, dass sie ausreichend gute Inhalte auf ihrer Plattform vereinen können. Die in ihren Funktionen stark eingeschränkten E-Ink-Displays lassen leider noch keine wirkliche Interaktion zu, weswegen auch der Nook ein zweites Display für die Navigation erhalten hat. Gerade in der Möglichkeit, direkt aus dem Inhalt mit anderen Menschen oder auch Orten zu interagieren, liegt jedoch die Stärke mobiler Geräte, die zurzeit nur suboptimal genutzt werden kann. Doch die Entwicklungen nehmen Fahrt auf: In den USA haben mit SpringDesign und enTourage zwei weitere Anbieter Dual-Screen-eReader auf Basis des mobilen Betriebssystems Android angekündigt.

Besser im Hinblick auf die Dialogfähigkeit sind die Mobiltelefone, die aber für das Lesen wiederum Nachteile mit sich bringen, wie die im Vergleich zu den eBook-Readern sehr kleinen Displays und der durch die Hintergrundbeleuchtung hohe Energiebedarf, der lange Lesestunden nicht zulässt. Handys haben aber auch unschlagbare Vorteile: Wir alle haben eines, man muss kein weiteres Gerät kaufen und mit sich herum tragen, Smartphones sind in der Regel WLAN- und UMTS-fähig, so dass Inhalte direkt geladen werden können und alle für das moderne Nutzerverhalten notwendigen Kommunikations- und Sharing-Funktionen sind bereits vorhanden, bis hin zu den Zugängen zu den eigenen Communities. Barnes & Noble hat bereits eine iPhone-Applikation im Apple AppStore, aber es gibt noch andere, wie zum Beispiel Stanza oder auch Wattpad, die auch Applikationen für andere Plattformen haben.

Welche Handys sich in Zukunft die Vielleser wahrscheinlich kaufen werden, sehen wir ebenfalls in Japan. Hier sind bereits Mobiltelefone auf dem Markt, die zwei Displays haben, ähnlich wie der Nook, nur mit dem Nook kann man eben nicht telefonieren. Zu dem normalen, meist innen liegenden Display kommt bei diesen neuen Geräten ein E-Ink-Display hinzu, welches dann außen angebracht ist. Die Telefone sollen hierdurch nicht entscheidend dicker oder schwerer werden und bieten Lesekomfort und volle Smartphone-Funktionalitäten.

Welches mobile Gerät wird sich am ehesten durchsetzen für das Lesen von Büchern und warum?

Bisher haben wir in den USA einen großen Erfolg des Kindle rund um Fachliteratur gesehen, der Konsumentenmarkt beginnt, sich rasant zu entwickeln. Amazon hat mit seinen Geschäftszahlen gerade bekannt gegeben, dass der Kindle bei Ab- und Umsatz der bestverkaufte Artikel sei, konkrete Zahlen wurden aber nicht genannt. Zurzeit ist amazon unter anderem in Deutschland unterwegs, um nach dem Vorbild von Apple den Kindle auch über die Telekommunikationsunternehmen zu vertreiben. Bei Fachbüchern und Nachschlagewerken spielt ein elektronischer Reader seine Stärken natürlich voll aus, ermöglicht er doch komfortable Suchfunktionen. Hier werden die eReader auch in Zukunft unschlagbar sein und sich im Markt etablieren. Ob allerdings die eReader den Massenmarkt wirklich erreichen werden, muss derzeit offen bleiben. Menschen, die viel lesen, werden sich eher einen eReader zulegen, doch beim Durchschnitts- bzw. Wenigleser sehe ich dies nicht, solange die Geräte noch verhältnismäßig teuer sind. Sicherlich sind diese Nutzer mit einem subventionierten Gerät, analog zum Mobiltelefon, zu erreichen und neben amazons Aktivitäten arbeiten die Telekommunikationsunternehmen an eigenen Geräten.

Aber es wird eine große Zahl von Nutzern geben, die eben kein zweites Gerät bei sich führen wollen. Möchten sie dennoch ihr eBook unterwegs lesen, sind sie sicherlich bereit, dies an ihrem Handy zu tun. Ich bin der festen Überzeugung, dass Smartphones die Geräte sein werden, auf denen unterwegs am meisten gelesen werden wird. Wie diese Geräte dann aussehen, ob zweite Displays Einzug halten werden oder ob es noch andere, spezielle Lese-Handys geben wird, bleibt abzuwarten.

Gibt es Beispiele für interessante Mobile-Anwendungen im Buchbereich?

Von den oben bereits erwähnten eReadern gibt es schone eine ganze Anzahl, je nach mobilem Betriebssystem. Ich weiß von Buchverlagen, die bereits eigene Applikationen beauftragt haben, hier laufen derzeit einige Entwicklungsprojekte. Was dort in den kommenden Wochen gelauncht wird, wird sicherlich spannend zu beobachten sein. Ich erwarte, dass wir recht “schlichte” mReader sehen werden, entweder eine Applikation je Buchtitel oder mit entsprechenden Nachladefunktionen und In-App-Purchase-Funktionen. Ob wir schon Applikationen sehen werden, die das mobile Endgerät für mehr als nur die Anzeige der Inhalte und der Navigation darin nutzen, werden wir sehen. Und darüber hinaus sind natürlich die Ansätze besonders spannend, die die Online-Vernetzung der Leser mit einbeziehen, Sharing-Funktionen und Empfehlungsmanagement berücksichtigen.

Vor einiger Zeit las ich von einer mobilen Applikation, die AudioBooks und einen eReader verbunden hat. Hierbei konnte man nahtlos von Text auf Audio und wieder zurück wechseln. Sitze ich zum Beispiel in der U-Bahn, lese ich selbst sehr gern. Müsste damit aber aufhören, wenn ich aussteige. Also einfach von Text auf Audio umschalten und ich kann im Gehen weiter “lesen”. Leider habe ich den Bericht über diese Applikation nicht wieder gefunden und kann daher den Link nicht angeben. Dies sind Ansätze, die den mobilen Kontext berücksichtigen und daher besonders vielversprechend sind. Denkbar sind noch viele Funktionen, die dem Leser einen echten, mobilen Mehrwert bieten könnten.

Welche Tipps hast Du für Buchverlage, die das Thema Mobile für sich nutzen wollen?

Mein vordringlichster Tipp für Verlage ist, offen zu sein für die Möglichkeiten, die Mobile bietet und nicht nur die Risiken in der Digitalisierung von Inhalten zu sehen. Etwas Mut gehört dazu, Neues zu wagen. Einfach Text in anderen Formaten anzubieten, ist zu wenig, gerade auf dem Mobiltelefon und reicht nicht für eine lukrative Monetarisierung. Also seien Sie kreativ, übrigens auch und gerade bei den Monetarisierungsmodellen, sonst wird der mobile Erfolg ausbleiben.

Ein weiterer Tipp: Es gibt Heerscharen von Nutzern, die kein iPhone haben, manchmal mag man das kaum glauben. Ich weiß, jedes Unternehmen, jede Marke hat heute eine iPhone-App, sogar mobile zeitgeist wird eine bekommen. ; ) Doch wenn es als erstes eine iPhone-App sein soll, was kein falscher Ansatz ist, gleich die in der Zielgruppe anderen, relevanten Plattformen mit berücksichtigen. Nur so erzielen Sie Reichweite.

Mein dritter und an dieser Stelle auch letzter Tipp: Verwenden Sie ausreichend Zeit auf die gesamte Online-Strategie und die hierin zu verknüpfenden, verschiedenen Konzepte, worunter auch einige mobile sein werden. Halten Sie diese Strategie flexibel und dynamisch, denn sie wird in jedem Fall Anpassungen benötigen. Mobile ist nicht nur ein neuer Markt, sondern weist auch eine extreme Veränderungsgeschwindigkeit auf, mit der Sie werden umgehen müssen.

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