Bastien – ein Text zur Gastfreundschaft von Giulia Becker

In der Wohnung meiner Schwester ist es eng. Sie lebt in einer Wohnsiedlung in der Gegend von Aix-en-Provence, die man sich als normalverdienender Mensch noch leisten kann. Zusammen mit ihrem Freund, dessen Schwester und zwei Hasen, von denen mindestens einer Crusoe heißt. Es ist alles sehr unprätentiös, die Hitze der Provence hängt in den Wellblechverkleidungen der kleinen Balkone, die Wohnungstüren werden dreifach abgeschlossen, sowieso hält man sich meistens draußen auf. Ich bin gerne dort und sehr willkommen, aber wenn ich mit Begleitung anreise, gibt es ein Platzproblem. Ein guter Freund meiner Schwester, er heißt Bastien, lebt direkt in der Innenstadt von Aix: Seine Wohnung ist so klein wie unbezahlbar, ein Zimmer mit Bad, rudimentär eingerichtet. Vom Bett aus kann man mit der Hand den Wasserkocher in der Küchenzeile bedienen. Er kannte mich nicht, Bastien, und meine Freundin Caro kannte er noch weniger. Trotzdem bekamen wir bedingungslos einen Haustürschlüssel überreicht. Wir schliefen fünf Tage in seiner Wohnung, er kam derweil bei Freunden unter. Wir hatten frische Bettlaken und Handtücher, im Kühlschrank stand Pastis, direkt vor der Tür fand das Leben statt. Durch ein kleines Fenster kommt man auf das Dach des Hauses, da ist es tagsüber unerträglich heiß, abends aber kamen Freunde meiner Schwester und Freundes-Freunde vorbei und wir tranken dort oben Wein und den Pastis aus dem Kühlschrank und irgendjemand hatte immer eine Gitarre dabei. Von der Dachspitze überblickte man die ganze Altstadt, den Rathausturm, die Cathédrale St-Sauveu. Ich war dort schnell zuhause, Caro, die noch weniger Französisch spricht als ich, ebenfalls. Bastien kam auch mal vorbei, er fragte uns, wie es uns geht und erzählte, wie es dazu gekommen war, dass ein zu einem Sessel umgebauter Einkaufswagen neben dem Bett steht. Als wir abreisten, füllten wir den Kühlschrank mit Pastis auf und hinterließen ein paar dankende Worte. Bastien ist in Köln jederzeit willkommen – seine Freunde und Freundes-Freunde auch.

Bastien – ein Text zur Gastfreundschaft von Giulia Becker
Foto: (c) Giulia Becker


Giulia Becker ist eine der wenigen Comedy-Autorinnen Deutschlands. Die 26-jährige schreibt für Jan Böhmermann, DIE ZEIT und auf Twitter unter ihrem Pseudonym Schwester Ewald. Mit ihrem Song „Verdammte Schei*e“ gelang ihr im Rahmen des Neo Magazin Royale erstmals ein eigener viraler Hit.

Bastien – ein Text zur Gastfreundschaft von Giulia Becker
Foto: (c) Neo Magazin Royale / Alexander Pauckner

 

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Mit #orbanismgastfreundschaft, einem Blog- und Gratis-E-Book-Projekt wollen wir vorsätzlich positive Bilder, Gedanken und Vorstellungen in die Welt und zum Zirkulieren bringen. Wir hoffen, es so wieder plausibler zu machen, dass es zum Menschsein gehört, anderen Freundlichkeit entgegen zu bringen und ihnen in Notsituationen auch Schutz zu gewähren.

Wir laden euch herzlich ein, uns – am liebsten bis zum 10. April – weitere Texte zum Thema selbst erlebte Gastfreundschaft (Umfang bis 3.000 Zeichen, kann aber auch ganz kurz sein) zu schicken, die wir bloggen und in einer Anthologie bei Orbanism Publishing veröffentlichen dürfen. Wenn Letzteres, etwa aufgrund von Buchverträgen, nicht möglich ist, können wir Texte gern auch nur bloggen. Bitte Text mit Ein-Satz-Bio in der 3. Person, dazu optional ein Link zu eigenem Herzensprojekt, gern auch ein passendes Foto, bei dem ihr die Rechte besitzt, per Mail an Christiane Frohmann, cf AT orbanism DOT com, senden. – Wir möchten die Rechte an den Texten und ggf. Bildern nicht exklusiv, bitte achtet aber darauf, dass ihr spätere Nutzer auf unser Nutzungsrecht hinweist. Bitte keine Texte unter Pseudonym einreichen.

 

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