Albert Warnecke: Wanderung in die Steinzeit

Der Originalbeitrag ist hier erschienen.

Er hat die Steinzeit nicht überlebt
Er hat die Steinzeit nicht überlebt

Wir waren im Urlaub, an der Algarve, wandern. Wetter gut, Leute nett, aber unsere mediale Ausstattung war steinzeitlich.

Die Algarve ist nicht das Siebengebirge, also mußte ein Wanderführer her. Wir haben uns für die Reiseführer von Sunflower und vom Bergverlag Rother entschieden. Beides Fachverlage mit langjähriger Wanderkompetenz. Vor Ort im Feld sah die Sache dann aber etwas anders aus. Die Beschreibungen waren veraltet. Zum Teil gab es die Wege nicht mehr, zum Teil war der Einstieg anders, alles nicht so einfach. Für uns als Wanderer nicht die optimale Usability.

Das geht auch besser

Das hat mich dann ins Grübeln gebracht: Die Aufgabe eines Wanderführers ist es doch, mir schöne Routen zu zeigen, damit ich sofort loswandern kann und mich nicht erst ortskundig machen muß. Es ist nirgendwo festgelegt, daß diese Informationen auf toten Bäumen ausgeliefert werden muß.

Wandern und Location Based Services, dass paßt doch ganz wunderbar zusammen. “Iphone, ik hör Dir trapsen…” wie der Berliner sagen würde.

Warum gibt es keine Wander-App? Ein Mashup aus Google-Maps plus aktuelle Fotos plus Nutzerkommentare (hier kann man gut Picknick machen, an der Quelle kann man seine Wasserflasche auffüllen…) Kritische Stellen, wie der Einstieg in eine Wanderung können mit Fotos verdeutlicht werden.
Damit hätte ich eine aktuelle Route und dank der Nutzerkommentare, müßte der Autor auch nicht alles selbst machen.

Wenn eine App eine Nummer zu groß ist: Man könnte doch auf der Web-Site zumindest die Wanderung in Google Maps eintragen, in der Karte besondere Punkte hervorheben und dann Nutzerkommentare zulassen. Das muß ja nicht gleich in ein Social Wandernetzwerk ausarten, aber ein kleines bisschen Community hat noch keiner Site geschadet. Und: Wanderer sind keine Randalierer. Es würde bestimmt sehr gesittet zugehen, der Moderationsaufwand wäre überschaubar.

Ausserdem könnte man Wandern a la carte anbieten. Sollen die Leute sich doch ihre Wanderungen selbst zusammenstellen und dann dieses Bündel als ebook aufs Smartphone downloaden. Smartphone statt Buch, Bits statt Atome.

Es geht leider doch nicht besser

Dann mein Besuch auf den den Web-Sites. Ein Rückfall in die Steinzeit. Der Bergverlag setzt auf Jodeloptik und Frames. Sunflower will mir gleich etwas verkaufen, aber man sieht den Kunden dort wohl vor allem als Pfadfinder. Eine gescheite Navigation gibt´s jedenfalls nicht.

Letztendlich sind die Web-Sites statische Visitenkarten, die optisch, technisch und marketingmäßig im letzten Jahrhundert stehen geblieben sind.

Der Bergverlag möchte lieber exklusiv bleiben und tut alles, um gute Suchergebnisse in Google zu vermeiden. Wenn auch Sie schlecht ranken möchten: Nehmen Sie die Titelseite der Rother-Site als Vorbild.

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<title>Bergverlag Rother</title>

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Eine wahrhaft asketische Homepage.

Ich glaube, Verlage ticken einfach unglaublich langsam. Sunflower preist seinen Update-Service als “einzigartig” an.

Ein Update besteht aus einem Informationsblatt mit detaillierten Hinweisen auf Veränderungen, die seit Erscheinen des Buches eingetreten sind. Am besten bestellt man es erst etwa drei Wochen vor Reiseantritt, um einen ganz aktuellen Informationsstand zu bekommen.

Dem kann ich nur zustimmen: Ein Blatt Papier, das ich drei Wochen vor Reiseantritt per Postkarte bestellen muß – das ist im Twitter-Zeitalter wirklich einzigartig.

Fazit

Es wird jemand kommen, der das Thema Wandern so umsetzt, wie es sich für das 21. Jahrhundert gehört. Und dann geht es Sunflower und Rother so, wie es Lonly Planet zur Zeit ergeht. Plattformen wie Tripadvisor und Holidaycheck haben dafür gesorgt, daß die BBC-Tochter ein wirtschaftlich katastrophales Jahr 2009 erleben musste.

Gibt es denn in beiden Verlagen keine Leute unter Dreißig, die sich der Sache mal annehmen könnten? Die Web-Sites wirken so unglaublich hilflos und tapsig. Zuerst hat´s mich genervt, aber dann hatte ich nur noch Mitleid und ich habe mich bei Bitten wie “schicken Sie uns eine Mail, aber ohne Anhänge” oder “bitte verwenden Sie im Formular keine Umlaute” ein bißchen fremdgeschämt. Das letzte Mal habe ich solche Sätze ca. 1996 gelesen. Damals war Netscape 1.0 der Top-Browser und alle Seiten waren in statischem HTML.

Wieso verschenken die Verlage eigentlich so viele Chancen?

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