Emily Byron: Dracula goes Disneyland

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Emily Byron: Dracula goes Disneyland

Ich kann mich noch genau erinnern…

Es war die Buchspalte eines Videothekenmagazins, in der ich zum ersten Mal von Stephenie Meyer und ihrem Wälzer Twilight las. Zu der Zeit war Edward noch kein Modename und die Fantasyregale fristeten in den Buchhandlungen ihr allzu kümmerliches Dasein. Nur wenige Bis(s)-Exemplare  lagen damals beim Händler meines Vertrauens und ich stürzte mich sogleich in den Lesespaß. „Ganz nett,“ hatte ich sofort den Eindruck. Zwar etwas zu jugendlich für meinen Geschmack, doch sprach mich der flüssige Schreibstil an.

Als ich allerdings zu der Stelle kam, in der sich Edward im Sonnenlicht zeigt, wars bei mir mit der Sympathie vorbei. Ein Vampir, der in der Sonne glitzert? Künstlerische Freiheit ist zwar ein Muss, aber das war für mich wie ein Faustschlag ins Gesicht und ich fühlte mich (man entschuldige die Wortwahl) auf ganzer Linie voll verarscht. Für mich zerfällt ein Vampir im Sonnenlicht zu grauem Staub. Oder verbrennt. Oder meinetwegen sogar beides. Aber glitzern?

Und auch, wenn ich – ich gebs ja zu – alle Bücher der Serie kenne, so ließ mich dieses Gefühl nicht mehr in Ruh. Es nuckelte an meinem Hinterstübchen wie ein Blutsauger am Hals der holden Maid, zu immens war für mich die Blasphemie. Warum ich die Reihe trotzdem verfolgte? Weil ich insgeheim die Hoffnung besaß, der Wolf würde Edward die Braut noch ausspannen. Das hätte mich tatsächlich wieder versöhnt. Trotz dem ganzen Glitzerkram.

Nun liegen sie überall aus, die Geschichten von schmucken Fledermausmännern, oh Verzeihung, ich meine -bubis, die in der High School das Mädchen von nebenan zu ihrer Prinzessin einer plötzlich schillernden Finsternis erwählen. Egal, wie abstrus die Geschichten auch sind – ‘Vampir‘ ist mittlerweile das Synonym einer völlig neuen Fantasygeneration, und die ehemals so stiefmütterlich bestückten Regale stöhnen nun unter der Last der Neuerscheinungen. Wie gern war ich einst noch durch die Buchhandlungen geschlendert und mir dabei wie Indiana Jones vorgekommen, wenn ich per Zufall in einem kleinen, verstaubten Eck, irgendwo hinter Krimis und Liebesschnulzen, mal wieder ein Werk mit dunklem Inhalt fand. Es war stets, als hätte ich einen verborgenen Schatz gehoben. Dieser Augenblick bedeutete mir fast mehr als die anschließende Lektüre an sich.

Heute meide ich das damals so geliebte Eck. Erst neulich ging ich wieder daran vorbei, und mein Herz fing sofort an zu bluten. Vampire, wohin das Auge blickte, verpackt in teilweise haarsträubende Geschichten und gekrönt von poppig bunten Kitschumschlägen. Keiner kommt mehr dran vorbei, vorbei an der Welle, die Frau Meyer ausgelöst hat.

Doch es ist wie mit jeder guten Idee – der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht. Meiner brach schon vor langer Zeit. Und offenbar nicht nur meiner allein, liest man derzeit in zahlreichen Foren all die immer lauter werdenden Stimmen, deren Begehr nach den Geschöpfen der Dunkelheit ähnlich schnell schwindet wie die Macht Draculas unterm Kruzifix.

Dies ist der Grund, warum mein Erstling vampirfrei ist, weshalb auch in der Fortsetzung rein gar nichts flattern wird.

Denn nur ein toter Fisch schwimmt mit dem Strom.

Und fängt dann ganz schnell an zu stinken.

Dass große Verlage auf einen fahrenden Zug aufspringen, sobald sie dessen Potential bemerken, ist zwar nicht gerade neu. Was mich dabei jedoch irritiert, ist der Umstand, dass – sobald die Welle rollt – jede bis dato verschmähte Thematik aufgrund eines romantisch-verklärten (Teenie)Hypes über die Maßen ausgeschlachtet wird, dass es beinahe schon körperlich schmerzt. Ja, es schmerzt mich, mitansehen zu müssen, wie ein über Jahre liebgewonnener Mythos systematisch demontiert, nahezu beschämend verniedlicht und entehrt wird.

Der Grund für diese Entwicklung ist denkbar simpel:

Die Bis(s)-Saga der Neuzeit ist für die Buchbranche, was in den 80ern Teen Wolf für die Filmindustrie. Ja genau, der Teenie-Klamaukfilm mit Herrn Fox, der als Klassenloser namens Scott Howard eines nachts zum Werwolf mutiert und als Fell-Freak der Star des Basketballteams wird. Doch schon schnell muss er erkennen, dass Ruhm und Ansehen nichts bedeuten im Vergleich zu Aufrichtigkeit und Liebe.

Was ging hierauf nicht die Pelzpost ab. Der Film wurde sogar ein solcher Erfolg, dass man sogleich eine Fortsetzung drehte. Das Werwolfthema war plötzlich omnipräsent und hat sich tatsächlich bis heute gehalten. Denn ob mans glauben mag oder nicht, MTV plant derzeit eine gleichnamige Serie – ein ganzes Vierteljahrhundert später.

Der Filmdienst schrieb damals, der Streifen sei ein „gagreicher und auch musikalisch ansprechender Teenagerfilm um die Suche eines Heranwachsenden nach seiner Identität“ (Quelle Wikipedia). Das trifft den Pflock voll auf den Kopf. Diese Suche ist der Grund, warum Filme wie Teen Wolf und Bücher wie Twilight einen derart großen Anklang finden, wodurch wiederum die Thematik an sich von jeder Seite – welch Ironie – restlos ausgeblutet wird. Damit das jedoch funktioniert, muss erst die gruselig-brutale Grundidee breitenwirksam verharmlost werden. Es hat durchaus seinen tiefe(re)n Sinn, wieso die Cullens abstinent sind, oder dürfte Ihr Kind sich einen Edward übers Bett hängen, dessen Gebiss rot glänzt vor Blut? Nein, lieber einfach nicht beachten, wie fern die Story auch der Klassik. Hauptsache, sie entspricht dem Trend und lässt sich quietschig bunt verpacken. So lange, bis die Welle bricht. Dann muss ein neues Thema her. Mein Tipp? Beschwingte Himmelshüter. Auch sie symbolisieren jenen Glanz, nach dem die Menschheit stetig strebt. Bleibt uns nur, jetzt abzuwarten, wann der Engel güld’ner Schein sich letzten Endes pink verfärbt. Denn es ist, wie schon beschrieben – ein Hype geht, ein neuer kommt. Die Konsequenzen sind verheerend.

Dracula wohnt jetzt in Disneyland.

Ein Glück, dass Stoker nicht mehr lebt.

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