Stefan Krücken: Das böse A-Wort

Stefan Krücken: Das böse A-WortStefan Krücken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (Fb). In seiner Kolumne “Unser kleiner Verlag” gibt er uns Einblicke hinter die Verlagskulissen.

Vor kurzem reiste ich nach Freiburg, um mit dem Referenten des Erzbischofs und den Autoren unseren Buches „Barmherzige Schwestern“ zu beraten, ob und wie wir eine Veranstaltungsreihe starten wollen. Fünfundzwanzig alte Nonnen erzählen in der Anthologie aus ihrem Leben, ein Pulitzerpreisträger hat sie fotografiert und das Buch wird allgemein gepriesen, von Medien, von Lesern, von allen, die es in den Händen hatten. Es ist ein leises Buch, es geht darin um Werte, manche sagen sogar: um den Sinn des Lebens. Nach dem Treffen besuchten wir den Orden der „Barmherzigen Schwestern“, tranken mit den Damen Kaffee und aßen Apfelkuchen. Danach blieb ein wenig Zeit bis zur Rückfahrt nach Hamburg, und als ich durch den Bahnhof schlenderte, kam ich auch an einer Buchhandlung vorbei.

Stefan Krücken: Das böse A-Wort

Nun sind wir nicht mehr so naiv zu glauben, dass sich ein Buchhändler mit einem kleinen, wenn auch erfolgreichen Verlag befaßt. An dieser Stelle könnte man viele Anekdoten erzählen; von Lesern, die von ihren Buchhändlern mehrfach weggeschickt wurden, weil wir angeblich nicht existierten; von einer Buchhändlerin aus Krefeld, die sich gerne mit unseren kostenlosen Postern (Steve McQueen!) und Postkarten eindeckte, aber kein einziges Buch bestellte; von einer anderen, die immer wieder anruft und eine Lesung mit Axel Prahl buchen möchte, aber „Sturmkap“, das er vorliest, nicht im Programm hat. Von einer Kollegin aus Lüneburg, die allen Ernstes fragte, ob „Ork-Anfahrt“ etwas mit diesem Ringe-Film zu tun habe. Ich möchte dies alles nicht vertiefen, denn ich mag Larmoyanz nicht. Wer jammert, hat kein Ankerherz. (Alle engagierten Buchhändler fühlen sich an dieser Stelle bitte nicht angesprochen. Wir wissen: Es gibt Euch wirklich!) Doch als ich die „Barmherzigen Schwestern“ nirgendwo in der Auslage im Freiburger Bahnhof fand, wurde ich stutzig: Die Schwestern leben in Freiburg, die Autoren wohnen in Freiburg, die Badische Zeitung (aus Freiburg!) hatte dem Buch zwei komplette Zeitungseiten gewidmet und „Nicht von dieser Welt“ drüber geschrieben.

Stefan Krücken: Das böse A-Wort„Sowas haben wir nicht“, sagte der Mitarbeiter der Buchhandlung nach einem Blick in den Rechner, „dieser Verlag ist zu klein.“

„Wie, zu klein?“, fragte ich, verkniff mir die Vertiefung des Themas „sowas“ und spielte den irritierten Kunden.

„Naja, solch kleine Verlage legt sich keiner hin, da werden Sie keinen finden. Alles, was Sie hier sehen, kommt von Großverlagen, die uns bemustern. Das Buch, das Sie suchen, ist zu speziell. Sie finden hier auch kein Buch über Hechtangeln.“

Hechtangeln? dachte ich, was meinte der verdammt noch mal mit Hechtangeln? Das brachte mich fast aus dem Konzept. Ich verwies kurz auf die Badische Zeitung, diverse andere Medien wie die Beilage der Zeit, um dann mal mit Dynamit zu fischen.

„Was soll ich also Ihrer Meinung nach tun – bei Amazon bestellen?“, erkundigte ich mich, ich fragte ganz sanft, doch das zeigte den gewünschten Effekt.

„Sie wollen doch nicht etwa bei diesem Internetriesen einkaufen? Was soll das? Unterstützen Sie die kleinen Buchhandlungen!“, fuhr mich der Mann empört an.

„Wieso sollte ich das tun? Sie unterstützen doch nicht mal einen Kleinverlag, wenn das Buch direkt vor Ihrer Haustür spielt und die größte Zeitung der Stadt seitenweise darüber berichtet“, entgegnete ich.

An der Kasse war eine Schlange entstanden. Der Verkäufer sah mich an wie ein Insekt und auch eine ältere Dame und ein junger Kerl mit Kopftuch dachten wohl, ich hätte ich gerade etwas Unanständiges getan. Stimmt, ich hatte das böse „A-Wort“ benutzt, aber das böse „A-Wort“ ist eine zutiefst demokratische Angelegenheit: Wer scheitert, der scheitert, mit offenem Visier, und alle, die antreten haben eine ähnliche Chance. Ohne das vergebliche Hoffen auf ein gewisses Interesse von Buchhändlern an ihrem Job. Ohne einen einzigen Hecht an der Angel.

Diese Fotos von Andreé Kaiser zeigen den Augenblick, in dem die Schwestern das Buch zum ersten Mal in den Händen hielten (Ein besonderer Moment: Viele besitzen nicht mal ein Passfoto von sich … und die Geschichten hörten sie zum ersten Mal, obwohl sie sich seit Jahrzehnten kennen, denn sie wären viel zu bescheiden, um über sich zu reden):

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Bildquelle: Stefan Krücken
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