Stefan Krücken: Deadliest Kölsch

Stefan Krücken: Deadliest KölschStefan Krücken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (Fb). In seiner Kolumne “Unser kleiner Verlag” gibt er uns Einblicke hinter die Verlagskulissen.

Manchmal ist es hart, Verleger zu sein, besonders dann, wenn die Rolle Bierbons nicht kleiner wird und man es mit jemandem zu tun hat, der gewohnt ist, auf der Beringsee 72 Stunden ohne Pause durchzuarbeiten. Tiefste Nacht in Köln, halb fünf auf der lit.cologne, Aftershowparty im Schokoladenmuseum am Rhein: Selbst Roger Willemsen, der alte Steher, ist nicht mehr zu sehen, auf der Tanzfläche bewegen sich einige mit der Grazie gut gefüllter Bierbottiche. Ich bin müde, wie das eben ist, wenn man im Biorhythmus schulpflichter Kinder lebt, ich bin sogar sehr müde, doch Cameron Glendenning kennt kein Erbarmen. Cameron ist der „Director of photography“ von „Deadliest Catch“, der erfolgreichsten TV-Dokumentation, für die er gerade seinen zweiten „Emmy“ gewann. In der Serie arbeiten Fischer tagelang ohne eine Pause – und die Kameraleute noch zwei Stunden länger, weil sie ihre Aufnahmen herunterladen und ihre Ausrüstung für den nächsten Tag vorbereiten. Für Cameron fängt die Nacht gerade erst an.

„Du willst gehen? Spinnst du? Ich bin wegen euch extra aus L.A. gekommen, fucking asshole“, schnauzt er, grinst breit, schiebt das nächste Kölsch rüber. „Cheers, bro!“

Er hat ja recht, ich weiß das. Ich hebe das Glas und denke darüber nach, wann sein Flugzeug zurück nach Amerika geht: Kurz nach elf. Es gibt also Hoffnung. Weitere zwei Kölsch später ist das Tief überwunden, und Gründe zu feiern gibt es reichlich: Hinter uns liegt ein großartiger Abend auf dem Rhein. Henning Baum, der „letzte Bulle“ und derzeit einer der beliebtesten Schauspieler, las aus unserem Buch „Time Bandit“. Mehr als neunhundert Zuhörer waren auf das Leseschiff „MS Rheinenergie“ gekommen. Wie viele Fans von Baum an Bord kamen, konnte man hören, als Moderator Joachim Frank erwähnte, dass Baum das Lesen des Audiobuchs mehrfach geübt habe: am Bett seiner Kinder. Ein lautes, sehr enttäuschtes Raunen ging durchs Schiff.

Meine Frau Julia, unser Freund Cameron und ich saßen ganz hinten in der letzten Reihe und genossen den Abend. Baum las mit einer Intensität die Geschichte der Fischerbrüder Hillstrand, dass mich Cameron anstupste: „Ich verstehe kein Wort Deutsch, aber der Typ ist so gut, dass es sich genau wie Johnathan Hillstrand anhört.“ Baum las von Sturm und von Wellen und der Unbarmherzigkeit der Beringsee, draußen zog das Panorama des Doms und der Altstadt vorbei. Wir zeigten einen Ausschnitt der Serie (die Sonntagabends auf Dmax läuft), und ein wohliges Gruseln machte sich breit. „Ich weiß nicht, ob ich da rausfahren möchte“, meinte Schauspieler Baum in der abschließenden Talkrunde. Nach dem, was Cameron erzählte, von Seekrankheit, Schlafmangel, von Riesenwellen und Orkan und Eis, dürfte diese Antwort klar sein. Baum, sollte man erwähnen, ist ähnlich wie TV-Kommissar Mick Brisgau, den er so erfolgreich spielt (Einschaltquoten von bis zu fünf Millionen auf Sat1): ehrlich, aufrichtig, sympathisch. Ein Kerl ohne Allüren, mit einer Leidenschaft und Hingabe für die Sache, die heutzutage nicht alltäglich ist.

Tatsächlich war Cameron nur für diesen Abend knapp 20.000 Kilometer weit nach Köln geflogen, und mir schwante schon etwas, als Edmund Labonte, Chef der lit.cologne und ein wundervoller Gastgeber, einen großen Kranz mit Bierbons über den Tisch schob. Wir hatten unser Ankerherz-Verlagsteam eingeladen, aus Berlin und München und natürlich funky Hollenstedt waren alle angereist. Es wurde ein legendärer Abend – nicht ganz so legendär wie die letzte, mit Brennivin befeuerte „Time Bandit“-Partynacht in Hollenstedt, nach der Cameron auf dem Flur des Hollenstedter Hofs übernachten musste, aber das ist eine andere Geschichte.

Es ist kurz nach Sieben, als wir ins Hotel spazieren. Die Vögel singen schon, es wird ein schöner Sonntag, und es ist auch klar, dass beim Aufwachen eine Großfamilie von Eichhörnchen durch den Schädel toben wird. Deadliest Kölsch.

„Bruder, das hat Spaß gemacht“, raunt mir Cameron zu, als wir uns zur Verabschiedung umarmen. „Aber eins musst du mir versprechen: Das nächste Mal, wenn wir uns sehen, gehen wir richtig feiern, okay?“

Ausverkauft: Lange Besucherschlangen an der Gangway der “MS Rheinenergie”
Stefan Krücken: Deadliest Kölsch

Vollbesetzt, kurz vor der Show: MS Rheinenergie
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Henning Baum und Cameron Glendenning
Stefan Krücken: Deadliest Kölsch

Lesung mit Sturmstärke …
Stefan Krücken: Deadliest Kölsch

Fanandrang bei Frauenschwarm Baum
Stefan Krücken: Deadliest Kölsch

Hatten Spaß: Cameron und Henning Baum
Stefan Krücken: Deadliest Kölsch

Gute Laune im Schokoladenmuseum: Julia Krücken (Ankerherz, rechts), Moderator Joachim Frank, halbverdeckt: Zerlina Dreissig (Ankerherz)
Stefan Krücken: Deadliest Kölsch

Thumbs up: Stefan Krücken (Ankerherz) und Cameron Glendenning
Stefan Krücken: Deadliest Kölsch

Bildquelle: Stefan Krücken, Peter Löffelholz / Ankerherz Verlag

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