Ulrike Ritter: Sensible Daten. Wie weit darf der Lektor gegenüber dem Autor gehen?

Ulrike Ritter: Sensible Daten. Wie weit darf der Lektor gegenüber dem Autor gehen?

Ulrike Ritter ist freie Lektorin – und leidenschaftlich bei der Sache. Von Salzburg aus betreut sie mit ihrer Firma textstern* Kunden in Österreich und Deutschland. Hier berichtet sie uns, was den Lektorenberuf so spannend macht, und teilt Gedanken über den Alltag zwischen Texten, Tippfehlern und Stilfragen.

Der freie Lektor ist ein Dienstleister, der seine Arbeit – im Hinblick auf den fertigen Text oder das veröffentlichte Buch als Endprodukte – weitgehend unsichtbar verrichtet. Das klassische Korrektorat beruht auf ganz pragmatischen und neutralen Kriterien und ist also eine Tätigkeit, bei der man zumindest theoretisch davon ausgehen kann, dass sie jeder gute Lektor in der gleichen Art und Weise ausführen kann, ohne dass dabei große Unterschiede auffallen. Anders ist das bei der Form des freien Lektorats, die sich auch mit Stil und Formulierungen beschäftigt und gemeinsam mit dem Autor echte Textarbeit betreibt. Hier ist es kaum möglich, dass der Lektor seine eigene Person verbirgt. Denn natürlich hat jede aktive Beschäftigung mit Texten viel mit der persönlichen Wahrnehmung von Textqualitäten und Stilebenen, mit dem Empfinden von passenden und unpassenden Formulierungen, ganz schlicht auch mit Geschmack zu tun. Umso wichtiger ist es daher, einen Konsens zwischen Autor und Lektor zu finden und zu definieren, wie weit die Eingriffe im Lektorat gehen dürfen. Das Schöne dabei: Dieser Konsens wird meist ohne direkte Absprache gefunden.

Ich finde es immer wieder – im positivsten Sinne – erstaunlich, dass die Autoren jener Texte, denen hochkomplexe, je nach Textart auch theoretische oder wissenschaftliche Konzepte zugrunde liegen, am offensten gegenüber dem Arbeitsschritt Lektorat sind. Was das Sicheinlassen auf die Möglichkeiten des freien Lektorats betrifft, scheint es wohl zwei Arten von Autoren zu geben. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die beim Schreiben schon ab dem ersten Tastenanschlag die Rezeption ihrer Texte mitbedenken und die deswegen das Lektorat als sozusagen „assistierende Textoptimierung“ verstehen. Auf der anderen Seite befinden sich meiner Erfahrung nach diejenigen, die beim Schreiben nicht von vornherein primär eine bestimmte Veröffentlichungsstrategie verfolgen und deren Texte auch über ihre Fertigstellung hinaus unheimlich eng mit der Person des Autors verbunden bleiben – so sehr, dass Lektoratseingriffe als Kritik am Autor und nicht als Verbesserungsvorschläge zum Text empfunden werden.

Beide hier entworfenen Typen der Autorenschaft sind berechtigt. Aufgeräumt werden muss lediglich mit der Vorstellung, das freie Lektorat verändere einen Text so grundlegend, dass sich der Autor nicht darin wiederfindet. Ganz im Gegenteil! Jeder Autor hat seinen Stil, seine Eigenarten, durch die er (wieder)erkennbar wird, seine Lieblingsformulierungen, womöglich auch seine Schrulligkeiten. All diese charakteristischen Dinge soll der Text auch während des Lektorats behalten, ergänzt um das, was sich mit den Schlagworten Verständlichkeit, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Klarheit und formale Korrektheit beschreiben lässt. Im Gegensatz zum Verlagslektor will der freie Lektor – zumindest will ich persönlich das nicht – keine Bewertung über einen Text, kein Urteil über das Vermögen des Autors abgeben. Mein Anspruch ist es, für eine kurze Weile – bis ein Text oder ein Buch fertig ist – zum Partner des Autors zu werden. Misstrauen ist also gar nicht nötig …

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