Alexander Bach: Ich bin Erzähler

Seit 2009 werden die Fragen unserer Interviewreihe von inzwischen über 700 Menschen beantwortet, die »was mit Büchern« bzw. Publishing machen. Unser Ziel ist es seit jeher, die Blackbox Buchwelt damit zu öffnen und die Leute noch enger in den Austausch zu bringen.

Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern oder im Bereich Publishing?

Alexander Bach: Ich bin Erzähler

Mein Name ist Alexander Bach, ich bin Erzähler. Seit 30 Jahren stehe ich auf der Bühne und beschreite damit einen schmalen Grat, der im Grunde nicht so recht in eine Schublade passt. Was mich bereits früh umtrieb, war der Wunsch, Geschichten nicht allein in Worten zu erzählen, sondern vielmehr mittels Lautstärke – oder in meinem Fall eher Leisestärke – und Tempo, aber auch Lichtstimmungen und Untermalung durch Musik und Geräusche. So waren Hör- und Schauspiel bereits zu Beginn Einflüsse meiner Bühnenprogramme, während Print-Veröffentlichungen für mich immer eher dokumentarischen Charakter hatten.

In den letzten Jahren sind als weiteres dramaturgisches Element Conférencen hinzugekommen, die den Programmen den Anstrich literarischen Kabaretts geben. Im Spannungsfeld von Stand-up Melancholie & Geschichten gelingt es mir inzwischen, ein Publikum anzusprechen, dem meine Texte allein zu schwermütig-literarisch wären und reine Comedy wiederum zu trivial. Vervollkommnet habe ich diese Mischung vor einigen Jahren mit dem Ein-Personen-Stück »Start spreadin’ the Night!«, eine Hommage an Frank Sinatra und die Magie des Geschichtenerzählens. Die einzelnen Texte darin wirken wie Songs auf einem Konzeptalbum und bilden gemeinsam mit der Rahmenhandlung einen gesprochen Roman.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Die meiste Arbeit erledige ich am Abend. Bei den Bühnenauftritten ergibt sich das aus den etablierten Spielzeiten der Clubs und Theater, aber auch sonst bin ich eher Nachtmensch. Ich kann mühelos bis weit hinter Mitternacht am Schreibtisch sitzen und dann Routineaufgaben und kreative Arbeit gleichermaßen erledigen, das war schon immer so. Da diese Arbeit in der Regel Projekten und Deadlines folgt, gibt es »den« typischen Arbeitstag nicht. Aber es gibt den roten Faden »Geschichten«. Oft beginnt der Tag für mich mit Lektüre, meist endet er mit einem Film.

Während der Corona-Pandemie kamen für mich am Nachmittag oder dem frühen Abend ausgedehnte Spaziergänge hinzu, mit einem Hörbuch auf den Ohren, aber auch mit offenen Augen. Es ist vielleicht ein bisschen das, was die Niederländer »uitwaaien« nennen, den Kopf freibekommen, auch für neue Eindrücke. Daraus ist für mich unter anderem die Reihe »Momentaufzeichnungen« entstanden, innerhalb derer ich wöchentlich auf Twitter auf 280 Zeichen verdichtete Prosaskizzen veröffentliche. Diese Texte haben mitunter etwas von Haikus an sich, oder auch von einzelnen Zeilen, die man aus einem Roman herausgerissen hat.

Die Suggestivkraft kleiner und kleinster Erzählformen fasziniert mich mit den Jahren immer mehr. Das Ungesagte – in der klassischen Kurzgeschichte bis hin zur Flash Fiction –, das über das in Worten Dokumentierte hinausweist, ausgehend von einer klitzekleinen Beobachtung, einer einzelnen Szene, einem Augenblick. Stillleben, die sich in Bewegung setzen. Sie bilden die Grundlage für meine Poetry Clips »Eigentümliche Geschichten«, aber auch für viele längere Erzählungen, die oft über einen sehr langen Zeitraum heranreifen. In dieser Zeit fertige ich vereinzelt Notizen an, bin im Wesentlichen aber damit beschäftigt, einzelnen Szenen und möglichen Handlungsverläufen nachzuhängen. Das gleicht dann weniger einem kontinuierlichen Schreibprozess, als vielmehr einem vagen Erinnern. Der Frage »Wie wird es gewesen sein?«

Wie verändert sich Ihre Arbeit (z.B. durch die fortschreitende Digitalisierung)?

Ich habe schon immer mit unterschiedlichsten Medien gearbeitet, habe Broschüren selbst gestaltet, Kurzfilme gedreht, Hörspiele produziert, in den 90er Jahren teils noch mit ungeheurem Aufwand – allerdings auch mit ungeheurer Freude und Erfindungsreichtum. Und ich staune, wie viel einfacher solche Produktion inzwischen geworden ist, wie viel einfacher die Arbeit von der Hand geht. Das wiederum reizt natürlich, immer mehr selbst zu machen.

Ich habe stets darunter gelitten, dass ich auf den Bühnen, die mir offenstanden, nicht exakt meine Vision umsetzen konnte, weil es dort in der Regel an technischen Möglichkeiten, manchmal aber auch an Bereitschaft gemangelt hat. Insofern erlebe die fortschreitende Digitalisierung als eine Art von Unabhängigkeit, die auch eine beträchtliche Energie und Inspiration freisetzt, eben gezielt fürs Digitale zu produzieren.

Die größte Veränderung ist für mich dabei, dass der Weg zum Publikum kürzer wird, wenn ich unabhängig von Bühnen, aber auch unabhängig von festen Spielzeiten produzieren kann.

Ich bin nicht unbedingt ein Freund von »On Demand« – mit dem ich eine mangelnde Verbindlichkeit assoziiere und letztlich auch eine Art gefühlter Wertminderung –, erkenne aber durchaus das Bedürfnis an. Dazu kommt ja auch eine gewisse Ökonomie, wenn man das Ergebnis einmaliger, konzentrierter Arbeit dauerhaft online stellt, da nähert sich – auch in diesem dokumentarischen Sinne – die darstellende Kunst wieder dem Buch. Und ich glaube, das ist eine Art von Nachhaltigkeit, die man durchaus als Erleichterung empfindet, wenn man Lesereisen hinter sich hat, bei denen man mit ein und demselben Programm Abende in Folge vor zehn, zwanzig Zuschauern hatte.

Welche Erfolge konnten Sie in letzter Zeit feiern?

Der gesprochene Roman »Start spreadin’ the Night!« war etwas, das mich selbst überrascht hat. Tatsächlich brauchte es ein wenig, um zu begreifen, dass mir hier der seltene Fall geglückt war, etwas zu schaffen, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Das Programm lebt von dem Zusammenspiel von Erzählung und Rezitation, ebenso wie von Auslassung und Andeutung, und einem bildgewaltigen Ende, das seine eigentliche Wucht in den Köpfen der Zuschauer entfaltet. Über gut 100 Minuten erzeuge ich für das Publikum Erinnerungen, die es am Ende mit der Hauptfigur teilt. Dass Leute sich die Vorstellung dann zwei, drei Mal hintereinander angeschaut haben und doch jedes Mal so ergriffen waren, wie bei der Premiere, das war für mich schon eine tolle Erfahrung.

Der Lockdown ab dem Frühjahr 2020 hat dann auch mir die Bühnen für lange Zeit verschlossen. Da ich es wenig reizvoll fand, mit bescheidenen Mitteln analoge Inhalte zu digitalisieren, habe ich unter dem Titel »Tagessätze« ein Format entwickelt, das anders gar nicht denkbar wäre.

Seit über einem Jahr schon veröffentliche ich eine Fortsetzungsgeschichte, die ich täglich fortschreibe – jeweils um einen einzelnen Satz. So entsteht eine poetische Dichte, die für einen Prosatext eher ungewöhnlich ist, und eine wohltuende Entschleunigung, sowohl für mich als Autoren, wie auch für Leserinnen und Leser. Das digitale Abonnement beschert ihnen eine Art immerwährenden Adventskalender, eine Spannung und Vorfreude auch, die sich bereits verändert, wenn man die sieben Sätze einer Woche hintereinanderweg liest. Täglich Punkt 18:00 Uhr geht ein neuer Satz online, den Abonnentinnen und Abonnenten per E-Mail empfangen, oder wahlweise auf dem Desktop oder in der Patreon-App lesen. Insofern liegt der Reiz dieses einmaligen Projektes darin, einem »Word in Progress« beizuwohnen, einer Geschichte voll Stille und Geheimnis, die sich nach und nach entfaltet.

Wo hakt es? Was ist eine Herausforderung, für die Sie eine Lösung suchen?

Ich stoße mit meiner Arbeit immer wieder auf Berührungsängste. Meine Bühnenprogramme sind weder eindeutig U noch E, als vielmehr UE – sind überraschend. Ungewohnt und oftmals ungewöhnlich. Die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, scheint mir nicht so weit verbreitet. Ähnliches erlebe ich mit den digitalen Angeboten, die für viele tatsächlich noch Neuland zu sein scheinen, wenn man einmal absieht von etablierten Formaten wie Spotify, Audible und Netflix. Und schließlich erlebe ich immer wieder eine gewisse Reserviertheit gegenüber den stillen, melancholischen Inhalten.

Ich bin überzeugt, dass es genau dafür ein Publikum gibt. Und es fuchst mich seit Jahren schon, dass wir nicht zueinander finden.

Wer sollte Sie ggf. kontaktieren? Welche Art von Kontakten wäre hilfreich?

Jemand, der sich um Akquise kümmert, wäre mir eine große Hilfe. Aber es wäre auch schon ein Schritt, wenn über meine Projekte gesprochen wird, wenn meine Arbeit für potentiell Interessierte auffindbar wird. Insofern ist mir jede Person, die eine Brücke zum Publikum bauen kann, sehr willkommen. Das können Menschen sein, die sich für meine Arbeit begeistern und diese Begeisterung privat oder beruflich weitergeben. Multiplikatoren. Pressekontakte. Agenturen.

Wo finden wir Sie im Internet?

Das umfangreichste Online-Projekt ist mein Kanal www.patreon.com/alexanderbach, auf dem ich Essays veröffentliche, Werkstattberichte und die Fortsetzungsgeschichte »Tagessätze«. Jeden Montag erscheint zudem eine poetische »Momentaufzeichnung« auf www.twitter.com/BachsMomente. Auf www.youtube.com/AlexanderBachsFilmbuehne findet sich eine wachsende Anzahl an Poetry Clips und Kurzfilmen, sowie aktuell die Interview-Reihe »30 Jahre – 30 Fragen« zu meinem diesjährigen Bühnenjubiläum. Klassische Informationsquellen einschließlich Terminübersicht und Tourtagebuch sind die Seiten www.andersvorgestellt.de, www.facebook.com/alexanderbach.official und www.instagram.com/alexanderbach.official.

Wen sollten wir auch mal fragen? Wer macht Zukunftsweisendes im Publishing?

Ich finde die niederländische Poetin Monique Hendriks außergewöhnlich spannend. Eindrucksvoll und souverän auf der Bühne, ist sie während der Pandemie regelmäßig mit Kurzfilmen und Poetry Clips online hier und hier präsent. Demnächst erscheint ihr Gedichtband »Retrospectieven«, den sie auf View-Master-Scheiben veröffentlicht, Dias für einen 3-D-Bildbetrachter, der in den 60er / 70er Jahren seine Hochzeit hatte.

Die Abschlussfrage darf natürlich nicht fehlen: Welches Buch hat Sie zuletzt beeindruckt?

»Een goede nachtrust« von Peter Buurman. In den Niederlanden finde ich immer wieder eine Poesie und Melancholie, die ich bei uns häufig vergeblich suche, sowohl in den Büchern, als auch auf den Bühnen. Peter Buurmans Roman verbindet beides mit einer Atmosphäre der Traumverlorenheit, die geradezu eine wohlige Verstörtheit erzeugt.

 

Foto (c) Pascal Moors (Nose for photography)

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