Ulrike Ritter: Entscheidungsfreiheit! Oder doch nicht?

Ulrike Ritter: Entscheidungsfreiheit! Oder doch nicht?

Ulrike Ritter ist freie Lektorin – und leidenschaftlich bei der Sache. Von Salzburg aus betreut sie mit ihrer Firma textstern* Kunden in Österreich und Deutschland. Hier berichtet sie uns, was den Lektorenberuf so spannend macht, und teilt Gedanken über den Alltag zwischen Texten, Tippfehlern und Stilfragen.

Kleine gelbe Hinterlegungen im Duden sind immer wieder Anlass für Uneinigkeit: die Dudenempfehlungen. Wie sinnvoll sind sie? Widersprechen sie in vielen Fällen nicht der Logik (und dem Hausverstand sowieso) und ignorieren den inhaltlichen Kontext, in dem eine Schreibweise steht? Die Diskussionspunkte sind seit Jahren zahlreich, ebenso wie die Kritiker. „Angesichts der hohen Anzahl von Schreibvarianten, die die neue Rechtschreibung vorsieht […], zeichnet der ,Duden‘ mit einer gelben Hintergrundfarbe jeweils eine Schreibung als Vorzugsschreibung aus. Diese Dudenempfehlung ist als Hilfestellung für alle diejenigen gedacht, die ohne großen Aufwand in ihren Texten einheitlich schreiben möchten. Die Empfehlungen geben das wieder, was der Dudenverlag bei seinen eigenen Werken als Hausorthografie zugrunde legt.“ So liest man im Vorwort der 24. Dudenauflage. Einheitlichkeit ist hier also das Kriterium, das Duden ins Feld führt. An sich doch eine prima Sache. Weit weniger neutral klingt eine Erläuterung im Abschnitt „Zur Wörterbuchbenutzung“ (hier ebenfalls zitiert nach der 24. Auflage, S. 13): „Für alle, die sich nicht selbst zwischen den erlaubten Schreibvarianten entscheiden möchten, sind die Varianten, die im Dudenverlag selbst bevorzugt werden, gelb unterlegt.“ Jeder, der den Dudenempfehlungen folgt, hat also keine eigene Meinung und trabt wie ein Herdentier stillschweigend und kritiklos der Dudenredaktion hinterher? So lässt sich das beinahe lesen.

Gleich vorweg: Ich persönlich korrigiere auf Basis der Dudenempfehlungen. Mir geht es darum, dass ich auch bei umfangreichen Manuskripten gewährleisten kann, durchgängig dieselbe Schreibweise einzusetzen. Ein Kunde, der regelmäßig bei mir lektorieren lässt, soll sicher sein, dass in der fünften Drucksorte nicht auf einmal eine andere Variante verwendet wird als in der ersten. In diesem Sinne haben die Dudenempfehlungen für mich keine andere Funktion als die, die auch Wordinglisten besitzen. Das Ziel ist Einheitlichkeit – nicht mehr und nicht weniger. Die Dudenempfehlungen werden so schlicht zum Arbeitstool.

Mit der Verwendung des Wortes „Hausorthografie“ schwächt Duden die Relevanz der Empfehlungen selbst empfindlich ab. Mit einer verbindlichen Vorgabe haben wir es also nicht zu tun. In diesem Lichte erscheinen beispielsweise Regeln von Presseagenturen oder firmeninterne Schreibweisen nicht weniger durchschlagkräftig als Dudens Empfehlungen. In Wirklichkeit scheint der Konflikt um die Dudenempfehlungen also vorrangig um die Frage zu kreisen, ob man Duden als Instanz in puncto Rechtschreibung akzeptiert oder ihm kritisch gegenübersteht und entsprechend vermutlich keine „Entscheidungshilfe“ annehmen wird.

Die Empfehlungen sind eine Mixtur aus neuer Rechtschreibung und Schreibweisen, die vor der Rechtschreibreform üblich waren – sicherlich ein Nachteil beim Handling. Hin und wieder fehlt auch die – sozusagen – interne Kohärenz, beispielsweise dann, wenn zwar die Zusammenschreibung bei „gewinnbringend“, aber die Getrenntschreibung bei „Erfolg versprechend“ empfohlen wird – wenn es einen strukturell-formalen Unterschied zwischen beiden Worten gibt: Für mich ist er nicht offensichtlich. Immer wieder kommt die Dudenempfehlung auch über die Wortbetonung zustande: So empfiehlt Duden zum Beispiel das auf der ersten Silbe betonte „hochgelobt“, dafür aber das endbetonte „hoch dotiert“ (dessen Betonung ich persönlich eher auf der ersten Silbe sehen würde). Und schon steckt man mittendrin in Einzelbeispielen und im Dilemma, die die Dudenempfehlungen zum leichten Opfer von Kritik machen.

Aber letztendlich ist vielleicht alles halb so schlimm: wenn wir die Dudenempfehlungen als das sehen, was sie vom Wortsinn her sind – Vorschläge, Anregungen, Ratschläge.

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