Miriam Pharo: Schriftsteller sind schon längst keine grüblerischen Einsiedler mehr

Die folgenden fünf Fragen werden regelmäßig von den unterschiedlichsten Köpfen der Buchbranche beantwortet und die Interviews werden hier im Blog veröffentlicht. Dadurch entstehen Beiträge, die zum einen Aufmerksamkeit auf jene lenken, die “was mit Büchern machen”, und die zum anderen die Veränderungen und Herausforderungen in den verschiedenen Bereichen der Branche sichtbar werden lassen. Wenn Sie ebenfalls teilnehmen möchten, senden Sie Ihre Antworten und ein Bild von Ihnen bitte an Leander Wattig. Als Inspirationsquelle könnten Ihnen die bisherigen Interviews dienen. (Jedoch behalte ich mir vor, nicht alle Zusendungen zu veröffentlichen.)

Miriam Pharo: Schriftsteller sind schon längst keine grüblerischen Einsiedler mehr Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern?

Ich bin eine französischstämmige Autorin, die es nicht fassen kann, dass bereits 36 Jahre vergangen sind, seit sie zum ersten Mal den Fuß in dieses Land gesetzt hat. Als ich nach Deutschland kam, hatte ich noch nie Häuser bis zum Horizont gesehen und dachte, Schnee sei rosa. Ich bin auf der Atlantikinsel Oléron aufgewachsen, wo Theodor Fontane eine Zeitlang wegen Spionageverdacht interniert war. Ob ich dadurch vorbelastet bin? Vielleicht. Jedenfalls war ich schon als Kind eine Leseratte, die alles verschlang, was sie zwischen ihre gierigen Krallen bekam. Irgendwann habe ich mir vorgestellt, wie ich in einem alten Haus mit Fensterläden sitze und Abenteuerromane schreibe. Nach meinem Studium arbeitete ich als Werbetexterin und Redakteurin, bis mich vor ungefähr fünf Jahren endlich die Muse küsste. Eines schönen Tages habe ich mich hingesetzt und damit begonnen, die Mordszene aus meinem ersten Roman „Schlangenfutter“ zu schreiben. Auslöser war zunehmende Langeweile angesichts der Krimis und Thriller, die ich die Jahre zuvor gelesen hatte. Irgendwie hat mich nichts mehr so recht überrascht. Als ich die ersten Worte zu Papier brachte, hatte ich überhaupt noch keine Vorstellung, wohin die Reise geht. Erst beim Schreiben kam mir die Idee, meinen Thriller in die nahe Zukunft zu verlegen, Science-Fiction also mit Krimielementen zu vermischen. So erblickte Hanseapolis das Licht der Welt – eine Megacity anno 2066, erbaut auf den Überresten der Städte Hamburg und Lübeck. Und mit einem Mal schien der Kindheitstraum mit dem alten Haus und den Fensterläden gar nicht mehr so fern zu sein.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Es gibt keinen typischen Arbeitstag. Aber oft beginnt er bereits beim Frühstück. Unwillkürlich frage ich mich, wie die Menschen der Zukunft diese Situation erleben werden. Wie wird ihre Morgenzeitung aussehen? Vielleicht wird der Kaffee zum Mitnehmen mit mikroskopisch kleinen Kommunikationsteilchen versehen sein, die ins Gehirn gelangen, dort am visuellen Cortex andocken und die brandheißen News projizieren? Werden Hundehalter beim Gassigang eine Atemmaske tragen müssen? Wird es überhaupt noch Hunde mit Verdauungsapparat geben? Oder werden diese einfach weggezüchtet? Jede noch so unbedeutende Handlung kann Fragen nach sich ziehen. Abgesehen davon schreibe ich immer dann, wenn ich die Zeit dafür finde und vor allem den Antrieb. Das ist nicht immer einfach. Am liebsten setze ich mich auf die Terrasse, sofern das Wetter mitspielt, sorge für genügend Café au lait und beginne, auf meinem Notebook zu schreiben. Oder aber ich setze mich ins Wohnzimmer, lege die passende Musik ein – Kaffee nicht vergessen – und schreibe. Meistens liegt unser Hund neben mir und schläft oder betätigt die Feststelltaste immer dann, wenn ich sie am wenigsten brauche.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahren bzw. in der letzten Zeit verändert?

Die größte Veränderung hängt zweifellos mit dem Social Networking zusammen. Noch vor ein paar Jahren verbrachte ich die meiste Zeit mit Schreiben. Heute ist das anders. Als Autor ist es wichtig, auf den wichtigsten Plattformen Präsenz zu zeigen – oder aber man leistet sich jemanden, der diese Aufgabe übernimmt. Der Leser gibt Feedback und erwartet eine Reaktion. Durch das Internet ist er viel näher am Autor dran, als es früher einmal der Fall war. Schriftsteller sind schon längst keine grüblerischen Einsiedler mehr, sondern neben ihrer Schreibtätigkeit ein Stück weit Dienstleister. Keine sehr hübsche Bezeichnung in dem Zusammenhang, aber sie erscheint mir am treffendsten zu sein. Und das meine ich absolut wertfrei.

Was ist ein typisches Problem bei Ihrer Arbeit, für das Sie eine Lösung suchen?

Mein Problem besteht darin, nicht von der Gegenwart eingeholt zu werden. Die technische Entwicklung schreitet so schnell voran, moralische Bedenken werden so schnell über Bord geworfen, dass ich bereits einige Male morgens in der Zeitung nachlesen durfte, was ich mir einige Wochen zuvor ausgedacht hatte. Also muss ich beim Schreiben noch mehr um die Ecke zu denken, noch abgefahrene Dinge aushecken. Das ist für mich die größte Herausforderung.

Wo finden wir Sie im Internet?

Bei Twitter, Google+, auf meiner offenen Facebook-Fanseite und natürlich auch auf meiner klassischen Homepage: www.miriam-pharo.com

Vielen Dank für Ihre Zeit!

Bildquelle: Miriam Pharo

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