Moritz Malsch: Wir haben das Berliner Literaturhaus Lettrétage aufgebaut

Seit 2009 werden die Fragen unserer Interviewreihe von inzwischen über 700 Menschen beantwortet, die »was mit Büchern« bzw. Publishing machen. Unser Ziel ist es seit jeher, die Blackbox Buchwelt damit zu öffnen und die Leute noch enger in den Austausch zu bringen.

Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern oder im Bereich Publishing?

Moritz Malsch: Wir haben das Berliner Literaturhaus Lettrétage aufgebaut

Ich heiße Moritz Malsch und habe zusammen mit zwei Kolleg*innen das Berliner Literaturhaus Lettrétage aufgebaut. Heute leite ich das Lettrétage-Projekt »schreiben&lebenPLUS«, in dem wir Beratungen für freie Autor*innen, Übersetzer*innen, Lektor*innen, Literaturveranstalter*innen und Buchgestalter*innen aus Berlin organisieren. Zu den Beratungsthemen zählt alles, was neben der Kunst den Berufsalltag so beschwerlich machen kann, aber dennoch wichtig ist: Steuer, KSK, VG Wort, Akquise, Arbeitsorganisation, Marketing, Stipendienbewerbung, Verlagssuche. Daneben organisieren wir jedes Jahr den Branchentreff Literatur und das Branchentreff-Barcamp, um die Berliner Literat*innen zusammen- und in den produktiven Austausch zu bringen. Weitere Projektbestandteile sind ein Online-Ticketing-System, der Berliner Literaturkalender, ein Mentoring-Programm und eine Marketing-Kampagne für die Berliner Literaturszene unter dem Titel »#LiteraturstadtBerlin«.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Das Management eines öffentlich geförderten Projekts ist eine erstaunlich bürokratische Angelegenheit. Man schreibt sehr viele Vergabevermerke, Aktennotizen, Zwischenberichte, Mittelabrufe und so weiter. Das ist das Pflichtprogramm. Die Kür sind die vielen produktiven Kontakte jeden Tag: zu den Teilnehmer*innen, aber auch zu den vielen freien Mitarbeiter*innen, Kooperationspartner*innen und Dienstleistern. Wichtig ist, sich die Zeit zu nehmen, auch das Inhaltliche, Konzeptuelle nicht aus dem Blick zu verlieren. Was funktioniert, was nicht? Ergibt das, was wir machen, noch einen Sinn? Gibt es einen erfolgversprechenderen Ansatz? Mit welchen neuen Themen müssen wir uns auseinandersetzen? Worauf erwartet die Szene von uns eine Antwort?

Wie verändert sich Ihre Arbeit (z.B. durch die fortschreitende Digitalisierung)?

Wir versuchen immer möglichst gut und im Sinne unserer Zielgruppen auf aktuelle Veränderungen und Ereignisse zu reagieren. In dieser Hinsicht waren die Corona-Jahre ein ziemlicher Husarenritt. Neue Themen wie zum Beispiel Beratungen zu Digitalveranstaltungen, den zahllosen neuen Förderprogrammen und Vorschriften, der verstärkten Notwendigkeit von Social-Media-Präsenz usw. trafen auf die neuen digitalen Veranstaltungsformate.

In Sachen Digitalisierung war Corona sicherlich ein Schub, hinter den wir nicht mehr zurückfallen werden. Ich sehe das rundum positiv. Manche Termine, für die ich ansonsten eine Stunde hin und eine Stunde zurückgefahren wäre, hätten früher den ganzen Arbeitstag okkupiert. Heute ist die Sache in einer Stunde digital abgehakt. Auch die Option des Homeoffice wird bei uns nach wie vor genutzt, wobei wir dies eher als Ausnahme von der Regel denn als Regel sehen. Es ist einfach effektiver und macht mehr Spaß, im Team direkt von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren. Aber ein Großteil der Beratungsgespräche im Rahmen des Projekts findet mittlerweile digital statt.

Welche Erfolge konnten Sie in letzter Zeit feiern?

Vor kurzem haben wir Bilanz über die letzten vier Projektjahre gezogen. Wir haben in dieser Zeit 1.600 literarische Freiberufler*innen ausführlich beraten, das Online-Ticketing im Literaturveranstaltungsbereich etabliert, ein erfolgreiches Mentoring-Programm durchgeführt und Veranstaltungen mit einer vierstelligen Gesamtzahl an Teilnehmenden organisiert. Rein quantitativ haben wir eine Menge auf die Beine gestellt. Aber ein besonderer Erfolg war für mich das erste Branchentreff-Barcamp im Mai dieses Jahres. Ich hätte niemals gedacht, dass dieses für viele noch neue Format in der Literatur so guten Anklang findet. Wir mussten die Anmeldung bei 150 Personen schließen – und das sechs Wochen vor der Veranstaltung! Der Wunsch nach Austausch, Vernetzung und gemeinsamen Aktivitäten ist riesig, und daher werden wir das Barcamp jetzt jedes Jahr im Rahmen unseres Branchentreffs anbieten.

Wo hakt es? Was ist eine Herausforderung, für die Sie eine Lösung suchen?

Der Literaturbetrieb ist riesig, aber in zahllose kleine Nischen unterteilt. Bestimmte literarische Genres, Gattungen, aber auch Distributionswege (ich denke zum Beispiel an Selfpublishing) bilden ganz eigene Szenen, die häufig unter sich bleiben. Es ist unsere ständige Herausforderung, nicht nur die Leute in unserer Blase zu erwischen, sondern ein Angebot zu schaffen, das für all diese kleinen Nischen, von queer Romance über historische Horror-Krimis bis hin zur klassischen Feuilleton-Literatur attraktiv ist und diese auch erreicht.

Wer sollte Sie ggf. kontaktieren? Welche Art von Kontakten wäre hilfreich?

Alle, die mit unseren Angeboten etwas anfangen können, Ideen für Kooperationen haben oder uns sagen möchten, was in unserem Angebot vielleicht noch fehlt.

Wo finden wir Sie im Internet?

Das Literaturhaus Lettrétage, das auch für externe Literaturveranstaltungen kostenlos zur Verfügung steht, unter www.lettretage.de. Das Projekt schreiben&lebenPLUS unter www.literaturszene.berlin. Unsere Kampagne #LiteraturstadtBerlin ab dem Herbst unter www.literaturstadt.berlin.

Wen sollten wir auch mal fragen? Wer macht Zukunftsweisendes im Publishing?

Die meisten habt Ihr schon interviewt! Vielleicht wäre Maja Stark von der HTW ein interessanter Kontakt. Sie kommt nicht aus der Literatur, aber sie hilft Literat*innen und anderen Künstler*innen dabei, ihre künstlerischen Projekte um Aspekte der Extended Reality, also Virtual oder Augmented Reality zu erweitern. Dieses tolle Angebot sollten so viele wie möglich kennen!

Die Abschlussfrage darf natürlich nicht fehlen: Welches Buch hat Sie zuletzt beeindruckt?

Nach längerer »Babypause« komme ich endlich wieder mehr zum lesen! Im Urlaub hatte ich den von Donat Blum und Valentin Moritz herausgegebenen und im Kanon Verlag erschienenen Erzählungsband »Oh Boy« mit, der den alten, monotonen und teilweise toxischen Vorstellungen von Männlichkeit eine Spielwiese an Möglichkeiten entgegensetzt.

 

Foto (c) Frieder Unselt

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