Sieglinde Geisel: Ich bin Journalistin, Lektorin, Schreibcoach und die Gründerin von “tell”

Sieglinde Geisel: Ich bin Journalistin, Lektorin, Schreibcoach und die Gründerin von "tell"Die folgenden sechs Fragen unserer Interviewreihe werden seit 2009 regelmäßig von interessanten Menschen beantwortet, die „was mit Büchern“ machen, und hier im Blog veröffentlicht. Dadurch entstehen Beiträge, die zum einen Aufmerksamkeit auf Buchmenschen lenken und die zum anderen Veränderungen und Herausforderungen in den unterschiedlichsten Bereichen des Publishing sichtbar werden lassen. Unser Ziel damit ist es, die Menschen noch enger in den Kontakt und Austausch zu bringen.

Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern?

Sieglinde Geisel

Mit der Frage „Wer sind Sie“ pflegt mein Landsmann Roger Schawinski seine Interviews zu eröffnen, es ist die schwierigste Frage überhaupt. Ich kann zwar sagen: Ich bin Journalistin, Lektorin, Schreibcoach und die Gründerin von tell, doch das beantwortet die Frage noch nicht. Anzufügen wäre, zum Beispiel: Ich bin jemand, der (oder sagt man heute „die“?) sich nicht langweilen will, vor allem nicht beim Lesen.

Womit wir bei den Büchern wären. Ich lese und bespreche sie (am liebsten live am Radio), manchmal lektoriere ich auch welche (z.B. Katja Petrowskajas „Vielleicht Esther“). Ab und zu schreibe ich eins (aktuell: der Gesprächsband „Was wäre, wenn?“ mit Peter Bichsel).

„Lesen heißt antworten“, hat George Steiner einmal gesagt, und herauszufinden, wovon ein Buch in seiner Tiefe handelt und was die Lektüre mit mir anstellt, ist jedes Mal ein Abenteuer.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Der Morgen ist idealerweise dem Schreiben gewidmet. Ich beginne mit einer „Deep Work“-Sitzung: 90 Minuten schreiben, mit Timer und ohne Medien. Erstaunlich, was man im Zustand der Hyperkonzentration zustande bringt. Nach einer Pause (und einem Blick in den Email-Posteingang) folgt möglichst eine zweite Schreibphase. Nach dem Mittagessen widme ich mich der Lektüre und „dem ganzen Orga-Kram“, wie es eine Freundin nennt.

Wenn ich es schaffe, diesen Rhythmus an mehr als der Hälfte meiner Arbeitstage durchzuhalten, bin ich schon fast zufrieden.

Wie hat sich Ihre Arbeit über die Zeit verändert?

Der größte Einschnitt war die Trennung von der NZZ Ende 2016 (nicht von der NZZaS). Nach über 20 Jahren als feste Mitarbeiterin war das, zu meiner eigenen Überraschung, ein Befreiungsschlag, auch weil ich mich nach dem Amtsantritt von René Scheu als Feuilletonchef nicht mehr frei gefühlt habe. Ich hatte auch vorher schon für andere Medien gearbeitet, nun mache ich mehr Radio und viel Online: für das neue Schweizer Online-Magazin Republik und für mein eigenes Online-Literaturmagazin tell, das ich 2016 gegründet habe.

Meine ganze Arbeit hat sich von Print wegbewegt, wie ich jetzt bemerke. Das mag auch daran liegen, dass sich mein Verhältnis zu den sozialen Medien in den letzten Jahren völlig verändert hat. Gehörte ich früher zu der Fraktion, die das alles ablehnte, nutze ich inzwischen Facebook und Twitter täglich und mit großem Gewinn. In diesem Sinn ist meine Arbeit digitaler und dialogischer geworden.

Und ich unterrichte immer mehr. Die Schreibwerkstätten und das Schreibcoaching sind Arbeitsfelder, die sich ausweiten. Es gibt einen großen Bedarf, und mir macht es Freude, anderen zu helfen, ihre Sprache zu finden.

Was ist ein Problem, für das Sie eine Lösung suchen?

Eine Finanzierung für tell. Um aufs nächste Level zu kommen, bräuchten wir eine Vollzeitstelle sowie Mittel für Honorare. Dann wäre jeden Tag jemand von 9 bis 17 Uhr für tell am Computer und wir würden nicht nur unsere Texte redigieren, sondern könnten auch schnell auf Debatten reagieren. Wenn wir Honorare bezahlen könnten (was ohnehin arbeitspolitisch ein dringendes Desiderat ist), könnten wir gezielt Aufträge vergeben. Jetzt ist viel Serendipity im Spiel.

Das Problem der Finanzierung ist, dass die Katze sich hier in den Schwanz beißt: Ein ernsthaftes Fundraising wäre ein Fulltime-Job – und zugleich die erste bezahlte Stelle.

Kein Geld zu haben, hat allerdings auch Vorteile: Not macht erfinderisch, und wer von vornherein ohne Geld arbeitet, kann nicht untergehen, weil kein Geld mehr da ist. Darin liegt eine große Freiheit.

Wer sollte Sie ggf. kontaktieren? Welche Art von Kontakten wäre hilfreich?

Hilfreich sind für mich, nebst Kontakten zu Redaktionen, vor allem Kontakte mit Literaturhäusern, Buchhandlungen. Denn ich schreibe nicht nur, sondern moderiere auch gern. Mich reizt die Aufgabe, einen anderen Menschen öffentlich zum Sprechen zu bringen.

Und wenn jemand sich bei tell engagieren möchte, sei es journalistisch oder finanziell, freuen wir uns natürlich.

Wo finden wir Sie im Internet?

 

Foto: privat

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