Selma Wels: Auch im Literaturbetrieb sind die Strukturen sehr starr

Seit 2009 werden die Fragen unserer Interviewreihe von inzwischen über 700 Menschen beantwortet, die »was mit Büchern« bzw. Publishing machen. Unser Ziel ist es seit jeher, die Blackbox Buchwelt damit zu öffnen und die Leute noch enger in den Austausch zu bringen.

Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern oder im Bereich Publishing?

Selma Wels: Auch im Literaturbetrieb sind die Strukturen sehr starr

Ich bin Selma Wels und ich mache mehrere Sachen mit Büchern: 10 Jahre lang habe ich als Verlegerin Bücher veröffentlicht. In den vergangenen 3 Jahren habe ich Festivals und Eventreihen initiiert und kuratiert, u.a. »Wir sind hier – Festival für kulturelle Diversität« und »RIOT NOW!«. Zusätzlich bin ich in verschiedenen Jurys tätig, wie 2022 in der Jury für den Deutschen Buchpreis und den Internationalen Hermann-Hesse-Preis oder zuvor in der Jury für den Wortmeldungen Förderpreis der Crespo Foundation und den Lessing-Preis. Seit Oktober 2022 arbeite ich beim Ullstein Verlag als Senior Event Managerin. Gerade frisch erschienen ist bei Rowohlt die Anthologie »anders bleiben«, bei der ich die Herausgeberin und eine der 21 Autor*innen des Bandes bin.

Selma Wels: Auch im Literaturbetrieb sind die Strukturen sehr starr

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Ich stehe sehr früh auf. Trinke sehr viel Kaffee, checke als erstes die Redaktionspläne für die unterschiedlichen Projekte und mache mir jeden Morgen eine neue ToDo-Liste für den Tag – Tatsache noch handschriftlich – priorisiere sie durch und bin dann startklar und in der Regel ab 8:30 Uhr für die Außenwelt erreichbar. Einige Arbeitstage gehen auch länger, wenn ich zum Beispiel Veranstaltungen habe, für die ich verantwortlich bin, die ich moderiere oder bei denen ich selbst als Gesprächspartnerin oder Autorin auf der Bühne sitze.

Wie verändert sich Ihre Arbeit (z.B. durch die fortschreitende Digitalisierung)?

Mein Arbeitsort ist Berlin, mein Wohnort Frankfurt am Main. Über Videocalls und Chats kann ich problemlos mit meinen Berliner Kolleg*innen in Kontakt stehen und gleichzeitig den für meine Familie gewählten Lebensmittelpunkt aufrechterhalten. Das ist ein sehr großer Gewinn. Das hat nicht nur was mit der Digitalisierung an sich zu tun. Diese Arbeitsweise wäre technisch gesehen auch vor Jahren bereits möglich gewesen, aber ins kollektive Bewusstsein ist diese Möglichkeit der ortsunabhängigen Zusammenarbeit erst durch die Pandemie gerückt. Also wenn man dem Corona-Virus auch etwas Gutes abgewinnen will, dann wäre das für mich ein Punkt, dem ich dankbar gegenüberstehe.

Welche Erfolge konnten Sie in letzter Zeit feiern?

Seit ich denken kann, will ich schreiben, schreibe ich. Bisher stand ich beim Büchermachen eher hinter den Kulissen. Bei »anders bleiben« nicht nur als Herausgeberin zu agieren, sondern erstmals selbst einen Beitrag zu veröffentlichen, bedeutet für mich persönlich großes Wagnis und einen großen Schritt, auf den ich sehr stolz bin.

Wo hakt es? Was ist eine Herausforderung, für die Sie eine Lösung suchen?

Generell kann man wohl sagen: Es hakt am System. Die Strukturen in diesem System, auch die institutionellen – und ja auch im Literaturbetrieb -, sind sehr starr. Die Entscheider*innen sind in der Regel männlich und weiß. Im Grunde geht es nicht nur um institutionelle Strukturen, es geht gleichzeitig um patriarchale Strukturen, die seit jeher unsere Realität bestimmen und die es zu benennen und zu durchbrechen gilt. Das könnte gelingen, wenn wir Macht gerechter verteilen würden, wenn Teilhabe und strukturelle Förderung für alle gleichermaßen gelten würde. Ich meine das nicht nur in Bezug auf das Ungleichgewicht von Männern und Frauen in Entscheidungspositionen. Ich meine das auch insbesondere im Bezug auf Menschen mit einer anderen kulturellen oder sozialen Herkunft, die es in diesem Betrieb wirklich schwer haben, sich einbringen zu dürfen. Und das fängt schon bei den Hürden an, die den Einstieg in diese Welt erschweren. Gleichberechtigter Zugang zu Bildung, gezielte Förderungen, Mentoring und Begleitung im Berufsleben – das ist leider noch eher von engagierten Personen abhängig, anstatt von Institutionen.

Wer sollte Sie ggf. kontaktieren? Welche Art von Kontakten wäre hilfreich?

Ich liebe den Austausch mit Menschen, die mich inspirieren und ich suche Menschen, die das Spiel wirklich drehen wollen.

Wo finden wir Sie im Internet?

www.selmawels.de

Instagram @selmawels

Wen sollten wir auch mal fragen? Wer macht Zukunftsweisendes im Publishing oder in der Buchwelt allgemein?

Das Content Collective, kurz Coco, zu finden unter: www.cocoliebteuch.de. Ich arbeite schon seit einigen Jahren in mehreren Projekten mit Coco zusammen. Aktuell unterstützen sie mich auch in der Content Creation für »anders bleiben« und wir planen gerade gemeinsam ein paar richtig schöne Sachen für Ullstein. Auf professioneller und persönlicher Ebene sind die Macherinnen von Coco ein absoluter Gewinn und eine große Freude. Kann ich gar nicht anders sagen.

Die Abschlussfrage darf natürlich nicht fehlen: Welches Buch hat Sie zuletzt beeindruckt?

Wo fang ich da nur an? Mich haben in letzter Zeit sehr viele Bücher beeindruckt. Ich schränke mich selbst mal ein und spreche über Romandebüts, die mich beeindruckt haben. Und da kommt mir sofort das Debüt »153 Formen des Nichtseins« von Slata Roschal in den Sinn.

 

Foto (c) PicturePeople

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