Bertram Reinecke: Ich bin als Lyriker, als selbstständiger Verleger sowie als Kritiker und Essayist aktiv

Die folgenden sechs Fragen unserer Interview-Reihe werden regelmäßig von den unterschiedlichsten Köpfen der Buchbranche beantwortet und die Interviews werden hier im Blog veröffentlicht. Dadurch entstehen Beiträge, die zum einen Aufmerksamkeit auf jene lenken, die “was mit Büchern machen”, und die zum anderen die Veränderungen und Herausforderungen in den verschiedenen Bereichen der Branche sichtbar werden lassen. Wenn Sie ebenfalls teilnehmen möchten, senden Sie Ihre Antworten und ein Bild von Ihnen bitte an Leander Wattig. Als Inspirationsquelle könnten Ihnen die bisherigen Interviews dienen. (Jedoch behalte ich mir vor, nicht alle Zusendungen zu veröffentlichen.)

Bertram Reinecke Wer sind Sie und was machen Sie mit Büchern?

Ich bin in drei Richtungen aktiv, als Lyriker, als selbstständiger Verleger und als Kritiker und Essayist.

In diesem Jahr wurde mein bei roghbooks erschienener 4. Gedichtband „Sleutel voor de hoogduitsche Spraakkunst“ von der gemeinsamen Jury der Akademie für Sprache und Dichtung und des Lyrikkabinett München als einer von zwei Titeln deutscher Gegenwartsdichtung auf die Liste der Lyrikbände des Jahres 2012 gewählt.

Als „Fachverlag für Horizonterweiterung“ wurde der Verlag „Reinecke & Voß“, den ich seit vier Jahren betreibe, vom Kritiker Dirk Uwe Hansen bezeichnet: Er bringt Texte in Deutschland weniger bekannter Schriftsteller, die in irgendeiner Hinsicht für die Entwicklung der internationalen Moderne (und ihrer Vorgeschichte) von Bedeutung waren, teils in deutscher Erstübersetzung heraus (z.B. Quvedo, Marino, Bertrand, Krutschonych, Białoszewski). Daneben nehme ich Gegenwartsdichtung ins Programm, die sich vor allem stilistisch vom Üblichen abhebt.

Als Essayist interessieren mich an Sprache und Literatur vor allem die oft zu kurz kommenden Fragen nach Machart und Verfahren sowie funktionale Aspekte. Bisher arbeitete ich vor allem für Zeitschriften, Jahrbücher und Netzforen wie Lyrikzeitung, Fixpoetry und Poetenladen. Für den Herbst ist meine erste Einzelpublikation zur Poetologie geplant.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Es gibt keinen typischen Arbeitstag. Ein Tag im Büro sieht anders aus als ein Messetag oder ein Tag bei Veranstaltungen außerhalb. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich. Es bleibt aber natürlich immer auch ein Bodensatz an ermüdenden Arbeiten an Zahlen- und Datenwerken.

Wie hat sich Ihre Arbeit über die Zeit verändert?

Die Arbeitskontexte sind immer zerfaserter geworden. Ich muss zusehends an mehreren völlig verschiedenen Projekten gleichzeitig werkeln. Das liegt daran, dass gerade das Feld der Lyrik in immer mehr Initiativen und Grüppchen fragmentiert. Als Lyriker begrüße ich diese gewachsene Vielfalt, andererseits muss man immer besser strukturiert sein, was Mehrfachnutzungen der eigenen Arbeit und effektive Ressourceneinsatz betrifft. Diese Vielfalt und Veränderlichkeit macht Planungen schwieriger, da sich mögliche Partner ebenfalls weniger gern längerfristig festlegen lassen, weil sie letztendlich ja vor dem selben Problem stehen.

Besonders beim Verlag bemerke ich außerdem, dass die Phase des Welpenschutzes nun offenbar vorbei ist. Einerseits entwickeln meine Arbeitspartner zunehmend (teils überzogene) Vorstellungen, was mit der geschaffenen Infrastruktur zu leisten ist. Auch machen sich einige Leute aufgrund ihrer Wahrnehmung des Verlages teils ungebeten Gedanken, was ich dort als nächstes machen sollte. Früher war es leichter, die Leute, mit denen man auf Grund eines gemeinsamen Interesses an einer Sache verbündet war, von denen zu unterscheiden, die sich irgend etwas anderes davon versprechen.

Ich beobachte, dass unter heutigen Bedingungen Autoren zusehends schlecht als Marken funktionieren. (Einzelne Titel dringen natürlich noch schlechter durch.) Daraus ergibt sich, entgegen dem Trend zur Autorenselbstvermarktung, eine Verschiebung der Marktbalance hin zu vermittelnden und „ordnenden“ Instanzen (Herausgeber, Verleger, Kuratoren etc). Verlage etwa setzen in der grafischen Gestaltung eher auf Wiedererkennbarkeit von Reihen und des Verlagsprogramms. Sie betonen somit das Gemeinsame. Dieser Trend stellt damit das Problem, das er zu lösen vorgibt, nämlich die Unsichtbarkeit des einzelnen Autoren oder Titels, teils selbst mit her.

Im gleichen Sinne muss man dies vom Trend zum bibliophilen Buch sagen. Wenn allzu viele Verlage allzu stark auf diese Richtung setzen, wird das Buch beschleunigt zu einem Nischenprodukt für Liebhaber. Der Trend des Buchhandels, auf weniger dafür teurere Bücher zu setzen, (in Vorderansicht präsentiert), mag zunächst den Umsatz steigern, arbeitet aber an der Krise des stationären Buchhandels mit, weil ein immer kleinerer Teil der vorhandenen Vielfalt im Laden abgebildet wird. Der Buchhandel als öffentlicher Ort für den Austausch über Bücher ist heute schon marginal. Eigentlich kann das Taschenbuch, früher ein Spezialmedium für große Auflagen, heute seine Qualitäten ebensogut und besser ausspielen als das bibliophile Objekt (Die haptisch-ästhetische Qualitäten bleiben ja erhalten, auch wenn man sie nicht eigens betont): Ein völlig zuverlässiger plattformunabhängiger Informationsträger für alle Gelegenheiten. Man kann ihn am Strand, in der Wanne, beim Wein verwenden, kann ihn sorglos verborgen, in der Kneipe liegengelassen … Dabei strahlt das Cover so viel Individualität aus, dass selbst der Besitzer des hippsten Appleprodukts vergleichsweise dagegen in einer breiten Masse untergeht. Insofern verleiht das Buch einem Text auch eine öffentliche Qualität, die ihm der Reader nicht bieten kann.

Alle diese Vorteile sind durch die relative Wertlosigkeit des materiellen Trägers bedingt. Insofern ich also eine andere Auffassung von der Funktionsweise des Mediums Buch habe als viele stationäre Buchhändler, stellen diese leider nur bedingt natürliche Verbündete im Kampf gegen Giganten wie Amazon dar, mit denen ich nicht zusammenarbeite. Bedeutsamer ist die Netzöffentlichkeit.

Was ist ein Problem bei Ihrer Arbeit, für das Sie eine Lösung suchen?

Mein Verlag wendet sich an ein gebildetes Publikum oder spezialisierte Vermittler (Fachbuchhandlungen, Kritiker mit besonderem Profil). In diesem Publikum ist eine nicht immer ganz begründete Haltung zu beobachten, die man in folgendem Satz zusammenfassen könnte: „Wenn es gut (relevant, wichtig) wäre, dann müsste ich davon bereits gehört haben.“ Als wie berechtigt sich diese Haltung auch immer ansonsten erweisen mag, führt sie doch oft dazu, dass Leute auf Neues nicht als mögliche Bereicherung zugehen, sondern zunächst ihre eigene Expertise als hinterfragt empfinden. Zum berechtigten Misstrauen „Da ist einer, der mir etwas verkaufen will“ kommt also noch ein emotionaler Missklang hinzu, der es weiter erschwert mit seinen Gegenständen durchzudringen.

In meiner Lyrik stellt sich mitunter ein ähnliches Problem. Hier werden Probleme der Verständlichkeit oder Zugänglichkeit nicht darauf zurück geführt, dass besondere Strategien am Werk sind, sondern lieber dem Autor als Mangel an Fertigkeit in die Schuhe geschoben.

Wer sollte Sie ggf. kontaktieren – welche Art von Kontakten wäre zurzeit hilfreich für Sie?

Ständig bin ich auf der Suche nach Leuten, die unter den schwierigen Bedingungen eines spezialisierten Publikumsverlages die Texte eines Autors herausgabereif machen können, sei es editorisch, sei es übersetzend, sei es kommentierend und einführend. Dabei geht es nicht um wissenschaftliche Einordnung sondern um Kundigkeit, die aus Begeisterung für die Sache eines Autoren erwächst und seine Bedeutung für die Kontexte der Gegenwart transparent machen kann.

Dass man ständig an Zusammenarbeiten mit Öffentlichkeitsarbeitern und Multiplikatoren interessiert ist, versteht sich von selbst.

Da es in diese Richtung Überlegungen gibt, wäre ich an Partnerschaften im Bereich Hörbuch interessiert.

Als Autor ist mir vor allem an Kontakten zur zeitgenössischen Musik gelegen, sei es für gemeinsame Projekte, sei es lediglich für einen Austausch. Ich habe mehrmals Textvorlagen für Werke der neuen Musik geliefert und mit Musikern öfter schon improvisativ zusammengearbeitet.

Wo finden wir Sie im Internet?

www.reinecke-voss.de

www.planetlyrik.de/bertram-reinecke-sleutel-voor-de-hoogduitsche-spraakkunst/2012/03/

Vielen Dank für Ihre Zeit!

Bildquelle: Bertram Reinecke

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